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Ko Rüchardt

Das Galilei Projekt

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Es mögen bewegte oder multizentrale Systeme sein, die uns fragwürdig bleiben lassen, und damit glücklos, und damit lebendig – in vielen bewegten Zentren liegt die einzige Möglichkeit der Zeit. Die Veränderung aller Relationen ist die Mitte um die gekreist wird – die Mitte ist immer die Erfüllung des Ganzen. Zeit ist eine Tatsache mit Anfang und Ende. Anfang und Ende sind Zeitränder, genau wie bei einem Tisch; der Rand ist die Grenze des Gegenstandes. Zeit kann nur gegenständlich verstanden werden. Anderes Verständnis impliziert Unterwerfung.

Sind die Relationen verloren, geben die Menschen ihre Wesen auf und frieren ihre Körper ein. Überall erscheint nun das SELBST, ein identisches Ding ohne Verbindung und quält sich durch biophysikalische Vorgänge. Vor lauter Umgehen gehen die Vorgänge als eigenes verloren. Vorgänge, die sich nicht unterordnen, sind verboten. Es ist modern, auf das Fortbestehen verhängnisvoller Tatsachen zu setzen; auch eine Art Sicherheit.

Galileo meidet die Nähe, sie wird ihm schnell zuviel. Wirklich nahe käme er Menschen und Dingen in deren Abwesenheit, dachte er lange. Er wei8 nicht mehr, ob es möglich ist, Menschen und Dingen wirklich nahe zu kommen.

Galileo sitzt, er lauscht dem Kreisen des Blutes im Körper – Landschaftsbilder – erzählen sie über ihn oder über anderes? – oder möchte das All einfach nicht tonlos sein? – ist es egal, woher das Rauschen kommt? Der Zustand an sich, jeder, unerträglich. Zustandsänderung vermag daran rein gar nichts zu ändern.

– Wenn die Wörter sich selbst überholen, wenn das Gesprochene gesehen wird, bevor es Wort gewesen ist –

Galileos Versuch, den Worten das Verallgemeinernde zu nehmen, seinen Sätzen das Definieren zu verbieten.

Kein Teil und kein Ganzes. Der Unterschied zwischen Radikalität und Extremismus. Der Weg führt durch die Figuren. Jedes Gegenüber ein Tor um einer Laune zu folgen. Auch Wiesel und Bäume. Der Horizont neigt dazu, sich nach oben zu verschieben, nicht auf, sondern in der Kugel bewegt er sich dann.

Wir haben Stahlplatten aneinandergestellt und der hineingeworfene Stein war der Krieg. Wir haben mit dem Getöse geliebäugelt, um uns von uns zu befreien.

Der Rhythmus kriecht durchs Fenster, quetscht sich durch Dickichte und kleine Schluchten. Vor nichts macht er halt; er wird eine latente Überraschung – wo man hinkommt klingelt er schon.

Es war alles in Vorbereitung, Kohl und Kartoffeln mußten noch geholt werden. Ein Festessen. Der Hahn war gerupft und hing ab vorm Weg durchs Ofenloch. Zwei Kinder waren geschickt, gingen den Weg, den immergleichen.

Eine Kugel und er bleibt liegen. Blut und Tränen statt Kohl und Kartoffeln. Ein Mord passiert unheimlich schnell.

Galileo hatte ein Problem. Er war mit allem fertig, und das Leben war noch nicht vorbei; mif3mutig schaute er sich selbst und den Anderen beim Alltagskampf zu. Er hatte alle Lust am Schrecken verloren, auch an den anderen Reizen.

Licht. Das Licht entkommt ihm immer wieder, als würden Schalter gedrückt. Es gibt Momente, da strahlt es durch auf alles, da fügen sich Milchtüten mit Fußgängern und Tischen, Büchern, Aschenbechern, u.s.w. zu einem einzigen grandiosen Strahlen zusammen. Die Welt, kurz ein Innenraum, dessen einzige Grenze das Lichtende ist. Dann wieder die Körper im Flackerlicht. Das ist ein Rhythmus: Liebe-Mord-Liebe-Mord-Liebe-Mord-liebe... rattert das Licht über die Leiber. Er hat keine Plätze, kein Platz stellt ihn in Relation, das können nur Himmel und Wetter. Ein Frühlingsregen ist immer ein Frühlingsregen. (Mit Deinen Selbsterklärungen möchte ich nichts zu tun haben. Alles was Du erklärst, zeigt mir nur, wie falsch es ist, sogar, da8 es funktioniert, zeigt: Es ist ungenügend. Würde es genügen, würde es auf wundersame Weise wie von selbst geschehen müssen.) Galileo hat seine Katze Galileo genannt. Er will sich nicht immer unterscheiden müssen. Später das Haus, den Schrank, die Stadt; dann auch Gefühle, Eindrücke, Absichten, fast alles bekam seinen Namen; Kinder verschonte er damit. Kindern will er sein Dasein nicht antun.

Er war plötzlich beleidigt, nicht nur irgendwie, sondern zutiefst; aus nichtigem Anlaf3, vielleicht hatte er eine Wette verloren, irgend so etwas Er hatte wie ein Besessener Häuser gebaut, Kinder gezeugt, Bäume gepflanzt und Bücher geschrieben. Dann diese Wette. Verloren. Er sitzt da und schmollt. "Du hast Dir das Ende wohl dramatischer vorgestellt." – "Halt’s Maul" -"Jetzt fängts bestimmt bald an mit der Mathematik." – Die Fachleute betrachteten ihn wohlwollend.

Er ißt zu schnell. Die Gabel saust nur so hin und her zwischen Teller und Mund; schon sind auch die letzten Reste vom flinken Messer feinsäuberlich zusammengekratzt, aufgeladen und verschlungen. Es wollen die Hände weiterzulangen, wollen die Beine lostreten, im Ansatz unterbricht sich der Aufbruch, dieser schnelle, geübte, dann sitzt er wieder da. Ob Kolumbus auch so geschaut hat, als es nur Amerika war, als er es entdeckt hat? – wieder nur Raum für Handgriffe und Wörter.

(Du Ärmster, hast einfach vergessen, Dein Blatt auszureizen – alle Trümpfe in der Hand, und dann schaust Du nur in die Lampe, den Mücken schaust Du zu, Dein Suizidvoyeurismus verdirbt uns das Spiel.)

Die Zeiten, in denen es reichte, Bankrotterklärungen abzugeben, um sich feiern zu lassen, sind vorbei. Die Geschwindigkeit trennt. Man gewöhnt sich daran, alles aus den Gegebenheiten heraus wahrzunehmen. Das Vorspiel einer Auflösung ohne Verluste.

Alle wollen beim Finale dabeisein. An den bauchigen Pforten der Welt drängen sich noch immer Millionen in der Hoffnung auf einen Platz in Erwartung kommender Ereignisse. Keiner scheut sich, den mühseligen Weg auf sich zu nehmen, oftmals scheitert der Versuch, oder die Leiber werden durch andere Fenster hinauskatapultiert, wenn alles gerade ahnbar wurde.

Die Geschichte erzählt nicht und beschreibt nicht. Eine Bewegung macht sich selbst oder passiert nicht. Von Galileo können Zustände oder Lokalitäten berichtet werden. Die Veränderung des Ausdruckes wird eingeschaltet, das ist ein Moment, der Rest ist Nacharbeit. Erlebtes wird durch Übersetzungen erlebbar, ganz ohne Authentizität. Das Selbst verlangt ein grandioses Gegenüber, um sich lustvoll darüber zu erheben. Die Blumen ehren die Asseln durchs Über-sie-Leuchten. "Durch die Blumen kommt der Witz in die Welt.", – das ist ein Galilei Satz; auch: "Am Morgen würde ich gerne selbst den Tau in die Wiesen schmieren." Keine Langeweile ist grö0er, als gekonnte Kunstgriffe, als die erfüllte Form. Es gibt den Sehnsuchtsweg der Langeweile. Galilei dazu: "Warum soll ich mich in die Reihenfolge der Worte einmischen?", oder auch: "Man will ja gerne wissen, wo man ist, aber das ist doch nicht das Leben."

Galilei ist der Namen, der rumliegt, um Zusammenhang zu geben. Es gibt keine Aussage ohne Unterordnung. Daher: Galileo (Galilei). Ist die Absicht gegeben und überwunden, folgt das Uferlose. Das Leben der Sprache sind Musik und Bilder. Bedeutung ist die Ausrede; ist es kein SELBST geworden, soll es wenigstens bedeuten. Ein Schöpfungsproblem. Ein Selbst bedeutet sich selbst, da sind Geschichten, keine Erklärungen.

Galilei Sätze: "Nichts ist dem Gedicht näher als die Mathematik.", "Wer nicht aufmerksam ist, wird auch nichts bemerken.", "Die Launigkeit entspringt gegenläufig kreisenden Koordinatensytemen.", "Die Grenzen der Wirklichkeit sind erstaunlich eng."

Ko Rüchardt